Über ein Erinnerungsmal, das Stolpern und das Innehalten

Nachdem wir bis jetzt über vier Orte in Bonn geschrieben hatten, mit denen wir fröhliche Freizeiterlebnisse verbinden und von denen wir hoffen, dass sie auch Dir eine schöne Zeit bescheren, haben wir uns Folgendes überlegt: Auf unserer Webseite sollen nicht nur Highlights präsentiert werden. Deshalb ist die Herangehensweise heute eine andere: 

Vorher habe ich mich gefragt:

Heute möchte ich fragen:

„Welche Orte haben mir gut gefallen?“

„Wo finden sich in Bonn schöne Zeugnisse der Geschichte?“

„Wie kann ich mein Wissen über meine Stadt in interessante Beiträge verwandeln?“

„Welche Orte haben mich zum Nachdenken gebracht?“

„Wo findet sich in Bonn traurige Geschichte?“

„In welchem Bereich der Geschichte meiner Stadt habe ich selbst Nachholbedarf?“

Heute möchte ich meine Rolle als Bonn-Kennerin ablegen, denn diesen Ort habe ich – obwohl ich ihn kannte – nie ausreichend betrachtet, geschweige denn gewürdigt. Fabienne war es, die mich zum ersten Mal richtig auf den Ort aufmerksam gemacht hat und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Du siehst, hier haben wir einmal die Rollen getauscht und ich habe von ihr gelernt – wie toll!

Wo befinden wir uns denn nun? Es ist kaum zu glauben, aber der Ort ist mitten in der Innenstadt. Genauer gesagt auf dem Marktplatz, über den wir schon in unserem ersten Beitrag zum Metropol-Gebäude, in dem inzwischen der Bonner Thalia untergebracht ist, kurz berichtet haben. Noch genauer gesagt, müssen wir uns dem Rathaus nähern. Doch so schön es auch anzusehen ist: Heute geht es um den Platz vor dem Rathaus…

Nach dem Blick in Bücher, Lebkuchen-Tüten, Telefonzellen und nach oben an die Decke der Schlosskirche, möchte ich Deinen Blick heute nach unten richten. Denn dann wirst Du im Kopfsteinpflaster vor dem Rathaus Buchrücken aus Bronze entdecken. Du stutzt? Was bedeutet das? 

Wie ich oben schon geschrieben habe, war mir das Kunstwerk zwar im Vorbeigehen schon einmal aufgefallen, aber den Hintergrund kannte ich nicht. Mit Fabienne habe ich recherchiert und bin dabei auf der Webseite der Stadt Bonn auf eine Beschreibung gestoßen. Die vollständige Version kannst Du hier lesen. 

Die wichtigsten Infos habe ich für Dich zusammengefasst: 

Infoblock

Es handelt sich hierbei um ein Kunstprojekt, das an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten erinnert. Diese erfolgte im Frühjahr 1933 in verschiedenen deutschen Städten, so auch am 10. Mai vor dem Bonner Rathaus, weshalb dieser Ort für das Werk ausgesucht wurde.

Auf jedem Buchrücken kann man einen Titel und den Namen der Autorin oder des Autors lesen. Bei den dargestellten Büchern handelt es sich um Werke, die damals von den Nationalsozialisten verbrannt wurden.  Zu dem Projekt gehört eine Truhe, die in den Boden eingelassen wurde und von einer Bronzetafel verschlossen wird. In ihr befinden sich weitere Werke von Autor*innen, deren Bücher verbrannt wurden und auf der Tafel sind die Namen weiterer betroffener Verfasser*innen zu lesen.  Am 80. Jahrestag, dem 10. Mai 2013, wurde das Erinnerungsmal auf dem Marktplatz offiziell übergeben. 

Inzwischen wird an diesem Ort jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung ausgerichtet, bei der die Truhe geöffnet und aus den Werken vorgelesen wird. Anschließend werden diese verschenkt und die Truhe wird wieder neu bestückt. 

Randnotiz: Das Musikstück im Hintergrund heißt „Sad to Inspiring“ und stammt von Music_For_Videos auf pixabay.com. Sowohl Titel als auch Melodie fand ich für das Erinnerungsmal sehr passend…

Nun einige Gedanken von mir:

Zuerst war ich ziemlich enttäuscht von mir, dass ich schon so oft über den Marktplatz gegangen bin, ohne zu realisieren, worüber ich gerade laufe. Aber vielleicht ist das genau die richtige Metapher: Im Alltag denke ich, die nie selbst unter den Nationalsozialisten leiden musste und deren Familiengeschichte auch nicht durch die NS-Herrschaft gezeichnet ist, selten an diesen Teil der deutschen Geschichte. Zu voll ist mein Kopf mit anderen Dingen. Aber ich weiß, dass jede Erinnerungsstätte sofort meinen Alltag stoppt. Auch wenn ich nicht immer Zeit habe, stehen zu bleiben, so merke ich doch, dass das Gesehene, Gehörte oder Gelesene mich begleitet – manchmal sogar mehrer Tage. Und ich glaube, dass es gerade wichtig ist, im wahrsten Sinne des Wortes, immer wieder über Erinnerungen an diesen grausamen Teil der Geschichte zu „stolpern“, um ihn zurück ins Alltagsbewusstsein zu holen.

Deshalb ärgere ich mich jetzt auch nicht mehr über mich, dass ich den Ort zuerst nicht richtig wahrgenommen habe, sondern empfinde diese Neu-Entdeckung als sehr wertvoll. Jetzt bin ich dankbar, dass ich durch unser Uni-Projekt einen solchen Ort der Erinnerung und damit auch einen weiteren Teil der Geschichte meiner Heimatstadt kennengelernt habe. Und besonders toll finde ich, dass es sich um ein Erinnerungsmal handelt, dass jeden Tag besucht werden kann und gleichzeitig durch die Leseaktionen einmal im Jahr nicht so starr wie andere Kunstwerke wirkt, sondern lebendig. Denn um Texte nicht zu vergessen, muss man sie erst einmal kennenlernen. Und dafür bietet diese Aktion eine sehr gute Möglichkeit!

Eben habe ich es schon angesprochen, das Wort „stolpern“. Fabienne hat die Bücher im Pflaster in unserem Gespräch zunächst als Stolpersteine bezeichnet – und das hat mich kurz verwirrt. Denn ich kenne Stolpersteine als kleine Gedenktafeln aus Messing, die in die Gehwege vor Häuser gesetzt werden, in denen Opfer der NS-Zeit gelebt haben. Darüber habe ich mit Fabienne gesprochen und kurzerhand haben wir beschlossen, auch diese Art der Stolpersteine in unsere Beiträge aufzunehmen.

Wir haben uns für die beiden Steine auf der Straße „Am Hof“ entschieden, weil sie auf dem Gehweg gegenüber dem Hauptgebäude eingesetzt sind. Wir wollten bewusst solche Stolpersteine auswählen, die auf einem der klassischen Wege zur Uni liegen – mit der Idee, dass auch Du Dir zwischen zwei Veranstaltungen die Steine anschauen kannst. 

Hier haben Irmgard und Siegfried Winterberg gewohnt, die beide deportiert wurden. Siegfried Winterberg wurde in Dachau ermordet, Irmgard Winterberg starb nach der Befreiung. Für mich wird Geschichte immer dann noch schwerer zu ertragen, wenn zu Fakten Namen und Einzelschicksale dazukommen. 

Als wir die Stolpersteine besucht haben, wurde ich stumm. Ich konnte nichts mehr sagen, habe eine Enge im Hals gespürt. Fabienne habe ich später erklärt, dass ich die Verantwortung als Deutsche stark spüre. Als Kind der 2000er-Jahre bin ich nicht dafür verantwortlich, was in der NS-Zeit durch Deutsche angerichtet wurde. Aber ich sehe mich mit in der Verantwortung, gegen das Vergessen zu arbeiten – und ja, vielleicht gerade auch durch ein Uni-Projekt. Deshalb habe ich zum Abschluss noch einen weiteren Hinweis formuliert: 

Tipp

Wenn Du vom Marktplatz aus durch die Bonngasse gehst und den Blick wieder zu Deinen Füßen richtest, wirst Du sehen, dass dort Platten eingelassen sind, die bekannte Bonner Persönlichkeiten zeigen. Besonders interessant finde ich hier Marie Kahle, die zur Zeit der Nationalsozialisten jüdischen Menschen geholfen hat. Wenn Du mehr über sie erfahren möchtest, dann klicke hier. 

2 Replies to “Über ein Erinnerungsmal, das Stolpern und das Innehalten”

  1. Wow! Obwohl ich aus Bonns Umgebung komme, kannte ich das noch gar nicht… Echt cool, dass ihr drauf aufmerksam macht. Vielleicht schaue ich einfach nicht oft genug auf den Boden… Fühle also echt mit dir, Susanna! Danke für all die Infos!

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